Lernen Sie das Diakoniewerk kennen: wie alles begann, welche Veränderungen es durchlebte, wo wir heute stehen und wohin die Reise geht. 

Der Ursprung des heutigen Diakoniewerks liegt in der Gemeinde Gallneukirchen, wo der katholische Pfarrer Martin Boos von 1806 - 1815 wirkte. Aus seiner Anhängerschaft, den sog. Boosianern, ging später die Evangelische Pfarrgemeinde hervor. 1874 wurde der "Verein für Innere Mission" (heute: Diakoniewerk) von Pfarrer Ludwig Schwarz und einigen Mitgliedern der Evangelischen Pfarrgemeinde Gallneukirchen gegründet. 1877 folgte die Gründung der Schwesternschaft der Diakonissen nach deutschem Vorbild und Einsegnung der ersten beiden Diakonissen Elise Lehner und Elisabeth Obermeir. Die Arbeit der Diakonissen war sehr vielfältig und reichte von der Kranken- und Altenpflege, über die Betreuung von Menschen mit Behinderung, von Kindern in Heimen, Internaten und Kindergärten und erholungssuchenden Menschen. Im Folgenden finden Sie einen Überblick der Entwicklungsgeschichte des Diakoniewerks bis heute.

Das Diakoniewerk Gestern und Heute

Keimzelle Gallneukirchen

Keimzelle Gallneukirchen

Der ideelle Wegbereiter des Diakoniewerks war der katholische Geistliche Martin Boos (1762-1825) aus Bayern. Er übernahm 1806 die Stelle als Pfarrer in Gallneukirchen. Er hielt als „reformatorisch“ eingeschätzte Predigten, die zur Spaltung der Gemeinde führten. Boos wurde verhaftet und 1815 entlassen.

Aus dem Kreis seiner Anhänger gingen die sogenannten „Boosianer“ hervor. Sie waren ständiger Verfolgung ausgesetzt, durften erst 1846 aus der katholischen Kirche austreten und bemühten sich in der Folge um die Bildung einer evangelischen Gemeinde im Mühlviertel.

Pioniere Cécile & Ludwig Schwarz

Pioniere Cécile & Ludwig Schwarz

1871 kam der evangelische Pfarrer Ludwig Schwarz mit seiner Frau Cécile nach Gallneukirchen. Zu dieser Zeit war die Not allgegenwärtig: es gab Armut, verwahrloste Kinder, unbetreute Alte und an den Rand gedrängte Menschen mit Behinderung. 1872 richteten sie im Pfarrhaus ein Krankenasyl ein und gründeten 1874 den "Verein für Innere Mission". Cécile Schwarz, die einer wohlhabenden Familie aus Triest entstammte, war ihrem Mann eine ebenbürtige Partnerin. Selbst kinderlos, nahm das Paar Waisen bei sich auf und setzte sich unermüdlich für Menschen in Not ein. Sie inspirierten junge evangelische Frauen zu einer neuen Lebensform als Diakonisse. Vorbild war die 1836 gegründete Mutterhausdiakonie in Kaiserswerth (Düsseldorf). Unverheiratete Frauen erlernten dort einen Beruf in der Krankenpflege oder Erziehungsarbeit. Elise Lehner und Elisabeth Obermeir waren die ersten beiden jungen Frauen aus Oberösterreich, die zur Ausbildung nach Deutschland geschickt wurden.

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Die Aufbaujahre von 1880-1890

Die Aufbaujahre von 1880-1890

Die 1880er Jahre waren von einem starken Wachstum des Vereins und seines Betreuungsangebotes geprägt. In vielen Gemeinden Österreichs arbeiteten Gallneukirchner Diakonissen als Gemeindeschwestern, in Krankenhäusern, Erholungs- und Kurheimen und in Ausbildungsstätten. Ein besonderer Fokus wird auf die Arbeit mit Menschen mit geistiger bzw. mehrfacher Behinderung gelegt. 1890 wird das Haus "Martinstift" als "Asyl für Epileptische und Blöde" (heute Wohnhaus "Altes Martinstift" am Linzerberg eröffnet.

Historische Ansicht Diakonissen-Mutterhaus Bethanien

Die Blütezeit um 1900

Zur Jahrhundertwende stieg die Zahl an Schwestern und Pfleglingen weiter an. 1913 gab es bereits 118 ausgebildete Diakonissen in einem weit verzweigten Netz von Filialen und Stationen. Bestehende Häuser wurden erweitert, neue wurden erworben und für die Pflege adaptiert. Mit der Übernahme des evangelischen Krankenhauses in Linz 1908 stand erstmals ein eigenes, professionell eingerichtetes Krankenhaus zur Verfügung, die heutige Klinik Diakonissen Linz. Es fungierte auch als Ausbildungsstätte für Diakonissen. Die Errichtung des Mutterhauses Bethanien 1907–1909 war nicht nur aus Platzgründen notwendig. Der Bau hatte für den Verein und seine Diakonissen eine große Symbolwirkung mit weithin sichtbarer Signalkraft (Abb.).

Diakonissen bei der Arbeit im Lazarett Pornczyn

Expansion trotz Krieges

Im Ersten Weltkrieg von 1914-18 wurden 90 der 150 Diakonissen in den Lazarettdienst versetzt. Trotz der prekären Lage des Vereins wurden die Häuser Gottesgarten, Friedenshort und Waldheimat erworben. Ab 1933 wurden Diakonissen in neue Außenstationen berufen, etwa nach Villach und sogar nach Florenz. Die Zahl der Schwestern stieg und neue Aufgabenfelder in der Gemeindepflege, der Kranken-, Jugend- und Altenarbeit sowie Volksmission kamen hinzu. Den Tiefpunkt in 150 Jahren Erfolgsgeschichte des Diakoniewerks Gallneukirchen bildet das Jahr 1941. An zwei Tagen im Januar dieses Jahres kam es zum Abtransport beeinträchtigter Menschen, die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie im nahegelegenen Schloss Hartheim wurden. Rund 85 Menschen wurden von den nationalsozialistischen Schergen in einer überfallsartig anberaumten Aktion abtransportiert. Sie werden kurz darauf im Rahmen der breit angelegten Euthanasie in Schloss Hartheim ermordet. Ein Mahnmal beim Haus Bethanien erinnert heute daran.

Wer sind Diakonissen?

Diakonissen sind unverheiratete Frauen, die ihr Leben einer evangelischen Glaubens- und Arbeitsgemeinschaft widmen. Sie tragen eine einheitliche Tracht, ihr Stammsitz sind die sogenannten Mutterhäuser wie es auch das Haus Bethanien in Gallneukirchen ist. Statt eines eigenen Einkommens werden sie vom Mutterhaus in allen Lebenslagen bis zum Tod versorgt und bekommen ein kleines Taschengeld für persönliche Bedürfnisse.

Erste Diakonissen wurden ab den späten 1830er-Jahren in Deutschland aktiv. Die ersten beiden österreichischen Diakonissen Elise Lehner und Elisabeth Obermeir begannen ihre soziale Arbeit in Gallneukirchen 1877 nach einer dreijährigen Ausbildung in Stuttgart. Vielen Frauen im 19. und 20. Jahrhundert wurde mit diesem Modell eine Berufsausbildung und Berufsausübung jenseits von Ehe und Familie ermöglicht. Als Diakonissen konnten sie sich gegen alte Strukturen behaupten, und setzten einen wichtigen Grundstein für die Entwicklung von Frauenberufsbildern.

Disziplin spielte eine bedeutende Rolle im Leben der Diakonissen. in sogenannten "Schwesternbriefen" mussten sie über etwaiges Fehlverhalten anderer Diakonissen berichten, wenn sie auf auswärtigen Stationen unterwegs waren. Das Mutterhaus konnte somit Kontrolle und Disziplinierung ausüben. Damit gaben die Briefe nicht nur Einblick in das Leben der Diakonissen, sondern waren auch Zeugnis unterschiedlicher sprachlicher Fähigkeiten. Manche Diakonissen waren kaum in der Lage, Sätze zu formulieren, andere wiederum verfügten über große sprachliche Eleganz.

Nach 1945 erreichte die Zahl der Diakonissen mit etwa 250 ihren Höchststand. Bis in die 1980er- und 1990er-Jahre waren Diakonissen in allen Arbeitsfeldern des Diakoniewerkes sowohl in leitenden Funktionen als auch an der Basis tätig. Da es aber längst keine Neueintritte mehr gab, ging die Arbeit kontinuierlich in die Hände von weltlichen Mitarbeitenden über.

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Das Mutterhaus der Diakonissen

Das Haus Bethanien ist als ehemaliges Mutterhaus der Diakonissen eng mit der Geschichte des Diakoniewerks verwoben und blickt auf eine bewegte und erfüllte Vergangenheit zurück. Am 1. Juni 1909 wurde das Diakonissenhaus Bethanien als das Mutterhaus eröffnet und stand ca. 100 Diakonissen aus nahezu allen Ländern der K&K-Monarchie zur Verfügung. Das Haus wurde zur Heimat der Diakonissen und damit zum Zentrum ihres spirituellen Lebens. Die große Küche war 101 Jahre lang in Betrieb, eine Nähstube diente dem Schneidern von Kleidern und Textilien. Der Garten wurde im Laufe der Zeit von einem Selbstversorgungs- in einen Erholungsgarten umfunktioniert. Während und nach beiden Weltkriegen diente das Mutterhaus sowohl als Lazarett als auch als Zufluchtsort für Flüchtlinge. Es gab Ausbildungsräume für junge Schwestern und Mietzimmer für Gäste oder Schülerinnen. Zeitgemäße Adaptierungen wie die Einleitung von Fließwasser in die einzelnen Zimmer und der Einbau eines Aufzuges brachten Verbesserungen. Schließlich nahm die Anzahl der Diakonissen mangels Neueintritten und durch Todesfälle kontinuierlich ab. Die letzte Schwestern-Einsegnung fand 1963 statt. Auch die Bausubstanz des Gebäudes wurde zunehmend schlechter. Die Schwestern übersiedelten 2010 in das Haus Abendfrieden. Das Haus Bethanien wurde ab 2013 einem Umbau unterzogen. Im April 2015 beherbergte das Haus die OÖ. Landessonderausstellung. Zweite Bauetappe erfolgte mit September 2015.

Das heutige Haus Bethanien

Nach der Generalsanierung erstrahlt das Haus Bethanien seit September 2016 in neuem Glanz und ist wieder ein Ort für soziales Wirken. Was die Diakonissen vor über 100 Jahren im Haus Bethanien begonnen haben, wird heute mit einer Vielfalt an Arbeitsfeldern unter einem Dach fortgesetzt.

Gedenkstätte der Diakonissen und Museum
Gedenkstätte der Diakonissen
Als Ort der Stille und des Erinnerns wurde die Gedenkstätte der Diakonissen am evangelischen Friedhof in Gallneukirchen gestaltet. Die Künstlerin Gabriele Berger hat die Friedhofsmauer mit einem Band aus Marmor eingefasst, auf dem alle Namen der Diakonissen abgebildet sind. Mittels QR-Code kann man sich direkt an der Gedenkstätte über das Leben jeder einzelnen Diakonisse informieren.
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Museum
Auf knapp 90m2 wird im Haus Bethanien die Geschichte und Gegenwart des Diakoniewerks präsentiert. Das Museum lädt ein, die Arbeit des Diakoniewerks, die mit der Schwesternschaft der Diakonissen vor mehr als 140 Jahren begonnen hat, zu entdecken. Das moderne Diakoniewerk von heute präsentiert die Vielfalt unserer Arbeitsfelder inkl. Videobotschaften von Mitarbeiter:innen.
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